Führung über den Alten Friedhof in Gießen

Führung über den Alten Friedhof in Gießen

Am Freitag, den 09. Mai 2014 besichtigten ca. 30 Mitglieder des Kulturrings den „Alten Friedhof“ in Gießen. Angelegt wurde der Alte Friedhof ab 1530, damals weit außerhalb der Stadtmauern, vermutlich auf einem bereits existierenden Pestacker. Als die Kapazität dieses Friedhofs erschöpft war, (man schätzt etwa 28.000 Beerdigte) wurde 1903 der neue Friedhof auf dem Rodtberg eröffnet. Bestattungen werden auf dem Alten Friedhof seit 1993 in der Regel nicht mehr vorgenommen; eine Ausnahme bilden Verstorbene von Familien, die bereits ein Familiengrab auf dem Alten Friedhof besitzen und das Nutzungsrecht fortlaufend erneuert haben.

Seit 2012 ist es möglich, eine Patenschaft für ein Grab auf dem Alten Friedhof zu übernehmen. Ein Pate sollte den stolzen Betrag von mindestens 8500 Euro Entgelt zahlen und damit das Recht erwerben, seine Urne nach seinem Tod auf dem Patenschaftsgrab beisetzen zu lassen. Die Grabpatenschaften sollen einen Beitrag zur Finanzierung der sehr aufwendigen Pflege des Alten Friedhofs leisten.

Die Kunsthistorikerin und Stadtführerin Dagmar Klein führte uns zunächst in die Friedhofskapelle, wo sie uns die architektonischen Besonderheiten erklärte. Sowohl im Innenraum als auch an den Außenwänden der Kapelle sind kunsthistorisch wertvolle Grabmale bedeutender Persönlichkeiten aufgestellt. Bemerkenswert sind die Epitaphe für die Theologen Johannes Winckelmann (1551–1626), den Gründungsrektor der Gießener Universität sowie dessen Nachfolger Justus Feuerborn. Feuerborn Schwiegersohn Peter Haberkorn setzte die Tradition fort. Schmunzeln nahmen wir zur Kenntnis, dass die Weitergabe der Ämter an Familienmitglieder schon damals gang und gebe war.

Die Kapelle wurde 1860 durch Hugo von Ritgen (1811 – 1889) restauriert. Ritgen war der erste Professor für Architektur und Kunstgeschichte der Universität Gießen und gilt als der erste Denkmalpfleger Deutschlands. Er restaurierte auch die berühmte Wartburg und die nahe gelegene Burg Gleiberg. Sogar die Unterburg der Burg Staufenberg wurde 1858 unter seiner Leitung von Grund auf renoviert.
Der Grabstein Hugo von Ritgens befindet sich neben seinem Schwager Johann Bernhard Wilbrand. Dieser war an der Universität in Gießen ab 1833 einer der Dozenten von Georg Büchner und soll diesem später als Vorlage des skrupellosen Doktors in dem Drama Wozzeck gedient haben. Dies wurde allerdings von unserer Führerin nicht bestätigt.
Nicht uninteressant war auch ein Grabstein an der Außenmauer der Kapelle von Johann Bast (+ 1703), einem ehemaligen Scharfrichter, der später als Wundarzt arbeitete. Bis im Jahr 1824 fanden in Giessen öffentliche Hinrichtungen am Galgenberg statt. Dieser lag weit vor den Stadtgrenzen auf der Anhöhe in der heutigen Marburger Straße.

Unser Rundgang führte uns zu weiteren Grabstätten berühmter Persönlichkeiten. Zu nennen ist z. B. das Grabmal von Wilhelm Conrad Röntgen und die aufwändig gestalteten Grabmale der Familien Gail, die mit der ersten Zigarrenfabrik in Gießen große Bedeutung für die Wirtschaft der Region hatte.

Frau Klein machte uns auch auf das Grab der Tabakfabrikantenfamilie Spruck aufmerksam; dieses hatte im Oktober 2013 traurige Berühmtheit erlangt: Diebe hatten die Metalleinfassung der Grabstätte geklaut.

Unser Rundgang endete am jüdischen Gräberfeld, welches 1836 angelegt wurde. Die dauerhafte Totenruhe gilt als unantastbar und die Besucher legen statt Blumen in der Regel kleine graue Steine auf das Grab.

Hier verabschiedete sich die Führerin Dagmar Klein von unserer Gruppe und unser Vorsitzender Herwig Steinbedankte sich bei ihr für diesen informativen Nachmittag.

Fotos: Kulturring Allendorf (Lumda) e.V.

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